Abstracts FS10
Analyse der Schülerzahlen in den Sonderschulen im Kanton Thurgau
Claudia Brenner, lic. phil., Amt für Volksschule des Kantons Thurgau, Abteilung Schulpsychologie und Schulberatung
Die seit 1995 systematisch erfassten Schülerzahlen in den Sonderschulen des Kantons Thurgau wurden analysiert, um Hinweise auf Charakteristiken der Schullaufbahnen separativ beschulter Kinder zu erhalten. Die vorliegende Arbeit fokussiert auf die Schüler in Sonderschulen für Verhaltensauffällige. Mit einem Anteil von 23% stellen sie nach den Kindern mit einer geistigen Behinderung die zweitgrösste Gruppe aller Sonderschüler im Kanton dar.
Über die Hälfte der Schüler in einer Sonderschule für Verhaltensauffällige ist bis zum elften Lebensjahr eingetreten. Eine grosse Gruppe von Schülern ist beim Eintritt acht Jahre alt (13%), weitere Häufungen zeigen sich im Alter von elf und zwölf Jahren (12% und 11%). Die bereits ausgetretenen Schüler weisen eine durchschnittliche Aufenthaltsdauer von 3.3 Jahren auf, diese variiert je nach Sonderschule zwischen 0.5 und 8 Jahren. Mehr als die Hälfte der Schüler einer Sonderschule für Verhaltensaufällige verlassen die Sonderschule mit der Beendigung der obligatorischen Schulzeit oder ein Jahr später. Einen vorzeitigen Austritt schaffen etwa 25% der Schüler.
Ein eher später Eintritt in die Sonderschule für verhaltensauffällige Schüler erschwert aufgrund der Chronifizierung der Verhaltensstörung, der beginnenden Pubertät und den häufig problematischen Kontextfaktoren eine Rückschulung in die Volksschule. Die Frage stellt sich, wie die Tragfähigkeit der Volksschule erhöht und die Eltern in ihren Erziehungskompetenzen unterstützt werden können, damit eine separative Schulung nicht nötig wird. Ein frühzeitiger Einbezug der Schulpsychologie wäre wünschenswert, damit mit den zuständigen Personen niederschwellige Massnahmen eingeleitet werden können. Mit Frühinterventionen kann eine Sonderschulung unter Umständen verhindert oder in ihrer Dauer verkürzt werden. Ein weiteres Anliegen ist es, mit den Sonderschulen die Austrittspraktiken frühzeitig zu besprechen und zu optimieren. Eine weitere Empfehlung ist, dass die Berufswahlklassen für den Übertritt in die Berufswelt für Sonderschüler auch in der Volksschule angeboten werden, damit die berufliche Zukunftsperspektive in den Sonderschulen nicht als besser eingeschätzt wird und damit zu einer Verlängerung der Aufenthaltsdauern führen kann.
Vorzeitige Einschulung und Klassenüberspringen: Erfahrungen von Schulpsychologen, Lehrpersonen und Eltern
Jlona Costan-Dorigon, M. Sc., SPD Aarau (in Zusammenarbeit mit Lilian Debrunner, M. Sc., SPD Lenzburg)
In einer Fragebogenstudie wurde untersucht, wie die vorzeitige Einschulung sowie das überspringen einer Klasse von Lehrpersonen und SchulpsychologInnen sowie von betroffenen Eltern wahrgenommen wird. Gegenstand der Untersuchung waren Anliegen der Eltern, Beobachtungen der Lehrpersonen sowie ein Einblick in die Abklärungsmethoden der SchulpsychologInnen. Befragt wurden SchulpsychologInnen des Kantons Aargau, Lehrpersonen aus den Regionen Aarau und Lenzburg sowie Eltern, deren Kinder in den letzten zwei Jahren vorzeitig eingeschult wurden oder eine Klasse übersprungen haben und die von Schulpsychologischen Dienst abgeklärt wurden.
Es zeigt sich, dass sowohl für die Abklärung einer möglichen vorzeitigen Einschulung als auch vor dem überspringen einer Klasse mindestens ein Intelligenztest zur Anwendung kam (in 69% der vorzeitigen Einschulungsfälle: der K-ABC und in 41% der Fälle der HAWIK IV; in 97% der Fälle eines Klassenüberspringens: der HAWIK IV). Des Weiteren wurden bei beiden Fragestellungen nicht-standardisierte Testverfahren genannt (Menschzeichnung: in 56% der vorzeitigen Einschulungsfälle sowie in 33% der Fälle eines Klassenüberspringens). Die Lehrpersonen gaben eine hohe Zufriedenheit mit den SPDs an; die betroffenen Eltern berichteten ebenfalls über positive Erfahrungen.
Die Autorinnen der Studie interpretieren die vorliegenden Ergebnisse positiv: Die Abklärungen der SPDs werden als differenziert und die Tätigkeit der SchulpsychologInnen als kompetent und engagiert wahrgenommen.
Beobachten und Beurteilen im Kindergarten anhand eines ICF-Beobachtungsbogens und der Lernstandserhebung wortgewandt und zahlenstark
Christine Neresheimer Mori, lic. phil., SPD Wallisellen
Die Kindergärtnerinnen im Kanton Zürich sind mit der Einführung des neuen Volksschulgesetzes (VSG) seit Januar 2008 dem Kanton unterstellt. Sie haben neu einen verbindlichen Lehrplan auf der Kindergartenstufe zu erfüllen und sind verpflichtet, bei der Einleitung einer sonderpädagogischen Massnahme (z.B. Logopädie) ein standardisiertes Verfahren (Schulische Standortgespräche; Hollenweger & Lienhard, 2007; ICF-basiert) zur Gesprächsführung anzuwenden. Diese Neuerungen haben bei den Kindergärtnerinnen der Gemeinde Wallisellen zu Unsicherheiten und Unklarheiten geführt. Die Schulleiterkonferenz beauftragte den Schulpsychologischen Dienst Wallisellen damit, mit den Kindergärtnerinnen eine Grundlage zu erarbeiten, wie künftig auf der Kindergartenstufe beobachtet und beurteilt werden soll.
Der Auftrag beinhaltete Fragen zu möglichen Beobachtungs- und Beurteilungsverfahren im Hinblick auf die Einschulung und schulische Standortgespräche. Die Kindergärtnerinnen sollten Beispiele von Beobachtungsbögen kennen und anwenden lernen. Ebenso sollten sie Beobachtungssituationen vorschlagen und sich auf ein Beobachtungsverfahren einigen. Weiter war die Frage der Beurteilung im Kindergarten zu diskutieren und zu vereinbaren, wie die Gemeinde Kinder auf dieser Stufe in Zukunft beurteilen soll.
Der gewählte ICF-Beobachtungsbogen wurde von der Schulleiterkonferenz weiter entwickelt und in allen Kindergärten als verbindlich erklärt. Seit Januar 2009 werden die standardisierten ICF-Bögen eingesetzt. Im Frühling 2009 wurden alle Kindergartenkinder im zweiten Kindergartenjahr (n = 117) mit der Lernstandserhebung wortgewandt & zahlenstark getestet. Die vom SPD ausgewerteten Ergebnisse wurden der Schulleiterkonferenz vorgelegt. Rückmeldungen im Kindergartenkonvent zeigten mehrheitlich positive Resultate. Eine grosse Mehrheit der Kindergärtnerinnen fühlt sich durch die neuen Hilfsmittel befähigt, eine Gesamtbeurteilung der Kinder vorzunehmen, und gewinnt Klarheit darüber, welche Kinder den anstehenden Stufenwechsel machen sollen. Im Schuljahr 09/10 werden die Lernstandserhebungen ein weiteres Mal eingesetzt.
Zufriedenheit mit dem SPD: Eine Kundenbefragung
Melanie Stöckli Clavadetscher, M. Sc., SPD Kanton Uri und Franziska Hotz-Staub, lic. phil., SPD Kanton Uri (Abschluss HS 10)
Im Sinne der Qualitätssicherung wurde am Schulpsychologischen Dienst des Kantons Uri (SPD) eine Befragung der Kundinnen und Kunden durchgeführt. Die Befragung beschränkte sich auf alle Eltern und Erziehungsberechtigten, die im Schuljahr 2008/09 Kontakt mit dem SPD hatten. Anhand eines eigens angefertigten Fragebogens wurde die Zufriedenheit mit der Beratung und dem Angebot erfasst. Ein weiteres Ziel war es, Auskünfte über die Stärken und Schwächen des Angebots zu erfragen, um eventuelle Anpassungen und Verbesserungen vorzunehmen. Die Meinung der Kundinnen und Kunden ist ein wichtiger Faktor zur Qualitätssicherung.
Die Befragung zeigte, dass die Eltern und Erziehungsberechtigten mit dem Schulpsychologischen Dienst insgesamt zufrieden sind. Die Information der Eltern über die schulpsychologische Abklärung oder Beratung wurde am wenigsten geschätzt. Diesem Umstand soll Rechnung getragen werden, indem Verbesserungen bei der Vermittlung der Ergebnisse der Abklärung und Beratung angestrebt werden. Die Information der Erziehungsberechtigten durch die psychologische Fachperson wird verstärkt; allfällige Fragen oder Bedürfnisse von Seiten der Eltern sollen während des Abklärungsprozesses vermehrt angegangen werden.
Die Neuorganisation der sonderpädagogischen Massnahmen im Kanton Zürich: Erste Erfahrungen in der Schulpsychologie
Vania Tietz Machado, lic. phil., Schulpsychologischer Beratungsdienst im Bezirk Hinwil und Karin Diethelm-Gremminger, lic. phil., SPD der Stadt Zürich (Abschluss HS 10)
Das neue Volksschulgesetz (VSG) wird ergänzt durch die Verordnung über die sonderpädagogischen Massnahmen (VSM), die ab Schuljahr 2008/9 in drei Staffeln in Kraft tritt. Das bisherige sonderpädagogische Angebot (z.B. Stütz- und Fördermassnahmen, Kleinklassen) hat sich zu einer breiten Palette von separativen Massnahmen ausserhalb der Regelklasse entwickelt. Das neue Angebot ist integrativ ausgerichtet. Kinder mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen sollen weitgehend in der Regelklasse gefördert werden. Dies geschieht hauptsächlich im Rahmen der integrativen Förderung (IF). Durch diese Veränderungen ergeben sich für schulpsychologische Dienste neue Aufträge, Verfahren und Formen der Zusammenarbeit. Gemäss der VSM finden in folgenden drei Fällen eine schulpsychologische Abklärung statt: bei Sonderschulzuweisungen, bei Uneinigkeiten über die sonderpädagogischen Massnahmen und bei Unklarheiten.
Ziel der vorliegenden Arbeit war, SchulpsychologInnen der ersten Staffel im Kanton Zürich hinsichtlich erster Erfahrungen mit der Neugestaltung der VSM zu befragen. Zwischen Januar und März 2009 wurden 73 Fragebogen an Schulpsychologinnen und Schulpsychologen verschickt. Der Rücklauf betrug 70 Prozent; 48 Fragebogen konnten ausgewertet werden.
Siebenundzwanzig Prozent der SchulpsychologInnen berichteten, weniger Abklärungen und 24% mehr Beratungen durchzuführen. Auch sei eine intensivere Zusammenarbeit mit anderen Fachpersonen gefragt (14%). Die Fälle seien komplexer und aufwändiger geworden, es ergäben sich auch Sonderschulfragen und Fragestellungen bezüglich der spezifischen Förderung von Kindern würden zunehmen. Als positiv wurde gedeutet, dass keine pro forma Abklärungen mehr stattfinden würden und die interdisziplinäre Zusammenarbeit intensiver geworden sei. Als eher negativ wurde erwähnt, dass Feuerwehreinsätze durch den SPD sowie komplexere und konfliktreichere Fälle zunehmen können.
Die Auswertung der Fragebögen zeigt, dass sich die SchulpsychologInnen mit der neuen Aufgabenstellung intensiv auseinandersetzen. Es werden sowohl Gefahren als auch Chancen erkannt. Kritisch sei vermerkt, dass die Fragebogenerhebung sehr früh stattfand, sodass unklar ist, ob die berichteten Entwicklungen auf die strukturellen Veränderungen zurückzuführen sind und/oder ob sich darin Erwartungen ausdrücken. Des weiteren gelangten nur 48 der 70 versandten Fragebogen zur Auswertung, so dass diese Aussagen kein repräsentatives Bild darstellen.
Neuropsychologische Diagnostik zur Objektivierung des Nutzens von Methylphenidat bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS
Daniela Zuber, lic. phil.; dipl. biol., INDB Institut für Neuropsychologische Diagnostik und Bildgebung, Schweizerisches Epilepsie-Zentrum, Zürich
(Projektleitung: PD Dr. rer. nat. Dipl.-Psych. Hennric Jokeit, Leiter Neuropsychologie)
ADHS ist eine neurobiologische Störung, bei der eine Dysregulation von präfrontalen, subkortikalen und Kleinhirn-Netzwerken besteht. Die Prävalenz von ADHS im Kindes- und Jugendalter liegt bei 3-5% und wird vermehrt medikamentös mit Metylphenidat behandelt. ADHS ist die häufigste Verhaltensstörung bei Kindern und Jugendlichen. Die Betroffenen haben das weit höhere Risiko als andere Kinder und Jugendliche gleicher Intelligenz, Lernstörungen zu entwickeln oder eine besondere pädagogische Förderung zu benötigen.
Bei ADHS bestehen nebst Verhaltensdefiziten (Impulsivität und Hyperaktivität) auch Defizite in den Aufmerksamkeits- und Exekutivfunktionen. Diese Defizite können in einer neuropsychologischen Untersuchung objektiv erfasst werden. Ein allfälliger Profit dieser Funktionen durch eine Medikation mit einem Stimulans wird in dieser Arbeit durch eine Verlaufsuntersuchung am Institut für Neuropsychologische Diagnostik und Bildgebung (INDB) des Schweizerischen Epilepsiezentrums an einer Stichprobe von 40 Kindern und Jugendlichen mit einer ADHS-Diagnose beurteilt. Bei allen Kindern und Jugendlichen der Stichprobe war eine medikamentöse Behandlung mit einem Stimulans begonnen worden. Der Verlauf der Leistungen der Kinder wurde in einem Set von aufmerksamkeitsrelevanten neuropsychologischen Tests erfasst. Zwischen den Untersuchungszeitpunkten lagen höchstens 12 Monate. Untersucht wurde, inwiefern Kinder mit Aufmerksamkeitsdefiziten in den kognitiven Funktionen von einer medikamentösen Behandlung mit einem Stimulans profitieren, d.h. in welchen Funktionsbereichen sich diese Effekte zeigen und welche Tests sich somit als Indikatoren eignen.
Etwa zwei Drittel der untersuchten Kinder und Jugendlichen profitierten signifikant von der Medikation. Dies entspricht der in der Literatur berichteten Rate. Am deutlichsten war der Profit erwartungsgemäss in den Aufmerksamkeitsfunktionen. Am sensitivsten waren die Tests der TAP-Batterie (Alertness, GoNogo, geteilte Aufmerksamkeit), sowie Benennaufgaben (Rapid naming, Stroop). Kein Effekt zeigte sich in einem sprachlich-exekutiven Test (Wortflüssigkeit) und in der non-verbalen Merkspanne (Corsi).
Die neuropsychologische Untersuchung mit Schwerpunkt in den Aufmerksamkeits- und Exekutivfunktionen dient neben der Objektivierung eines allfälligen kognitiven Defizits auch der Entscheidungsfindung hinsichtlich der Indikation für eine medikamentöse Behandlung mit Methylphenidat. Auf der kognitiven Ebene ist ein Profit nur indirekt durch eine Testung, auf der Verhaltensebene durch Beobachtung seitens der Eltern und Schule möglich. In Ergänzung mit einem unfassenden Intelligenztestverfahren stellen die genannten Verfahren eine zeitökonomische und sensitive ADHS-Testbatterie dar. Eine ausführliche anamnestische Befragung der Eltern, sowie allenfalls der Lehrperson sollen der neuropsychologischen Untersuchung vorausgehen. Ergänzend ist auch der Einsatz von Fragebogenverfahren zu empfehlen wie etwa Conners Rating Scales (CRS), Wurs-k, ADHS-SB, Fragebogen zu Stärken und Schwächen (SDQ), Child Behavior Checklist (CBCL) und Youth Self Report (YSR).