Abstracts FS16
Hochbegabung – Urteilsbildung und Stolpersteine
Claudia Grob, M.Sc., Zentrum für Sonderpädagogik Auf der Leiern, Gelterkinden
Die Praxisforschungsarbeit entstand am Zentrum für Entwicklungs- und Persönlichkeitspsychologie (ZEPP) der Universität Basel und widmet sich dem Thema der Hochbegabung im Kindergartenalter und allfälliger Stolpersteine in der Urteilsbildung. Befragt wurden 39 von 49 in einer Schweizer Stadt tätige und für das Kindergartenalter zuständige DiagnostikerInnen: 9 SchulpsychologInnen, 30 HeilpädagogInnen (35 Frauen, 4 Männer). Insbesondere interessierte die Häufigkeit der bisherigen Begegnungen mit hochbegabten Kindergartenkindern, das Ausmass stereotyper Annahmen zu Hochbegabung sowie das diagnostische Verhalten am Beispiel Fallvignette, bei welcher die Diagnosemöglichkeiten in der einen Bedingung vorgegeben und in der anderen nicht vorgegeben waren.
Es zeigte sich, dass die befragten DiagnostikerInnen in ihrer bisherigen beruflichen Laufbahn im Durchschnitt etwa 5 hochbegabten Kindergartenkindern begegnet waren, wobei die Anzahl der Begegnungen nicht mit zunehmender Berufserfahrung anstieg. Ferner wurde deutlich, dass implizite Annahmen zu Hochbegabung weniger stereotyp ausfielen, wenn der Diagnostikanteil am Arbeitspensum höher lag und die DiagnostikerInnen häufiger mit hochbegabten Kindern konfrontiert waren. Am Beispiel einer Fallvignette konnte zudem gezeigt werden, dass bei gleichem Symptombild die gestellte Diagnose bedeutsam von der Antwortvorgabe abhing (vorgegebene Antworten vs. Antwort ohne Vorgaben): In der Bedingung mit Antwortvorgaben wurde die Diagnose der Hochbegabung häufiger gestellt.
Als Fazit kann festgehalten werden, dass das Vorhandensein von spezifischem Fachwissen und die Reflexion des eigenen Urteilsprozesses für das diagnostische Gelingen von zentraler Bedeutung sind.
Unterschiede zwischen Jugendlichen mit ADHS und POS in der beruflichen Eingliederung der Invalidenversicherung Basel-Landschaft
Karin Hägler, M.Sc., IV-Stelle Baselland, Binningen
Das Psychoorganische Syndrom (POS) ist nicht im DSM-V oder ICD-10 enthalten, sondern ein versicherungsmedizinisches Konstrukt. Beim POS bestehen zusätzlich zu einem ADHS eine Störung der visuellen und/oder auditiven Wahrnehmung sowie der Merkfähigkeit und ausserdem eine Verhaltensstörung aufgrund einer krankhaften Beeinträchtigung der Affektivität oder Kontaktfähigkeit. Die Intelligenz liegt dabei im Normbereich. Im Jahr 2011 wurde der Medizinische Leitfaden zur Diagnostik des POS erstellt.
Bei Jugendlichen mit ADHS und POS fallen im Vergleich zu Jugendlichen ohne medizinische Einschränkungen oft wesentliche Mehrkosten während der Ausbildung an, die einen Anspruch auf IV-Unterstützung zur Folge haben. Wenn aufgrund der zusätzlichen Symptome das POS die schwerwiegendere Erkrankung als das ADHS darstellt, kann daraus gefolgert werden, dass Jugendliche mit POS mehr Beratung und Betreuung während ihrer Ausbildung benötigen als Jugendliche mit ADHS und damit der IV höhere Kosten verursachen. Jugendliche mit POS schliessen ihre Ausbildung wahrscheinlich auf einem geringeren Niveau ab als Jugendliche mit ADHS, was zu einer kürzeren Ausbildungsdauer und einem jüngeren Abschlussalter führt. Es zeigt sich in dieser Untersuchung kein Unterschied zwischen den vier Betroffenen mit ADHS und den 36 mit POS, wobei die kleinen und ungleichen Stichprobengrössen keinen repräsentativen Vergleich zulassen. Mögliche Gründe für die kleine ADHS-Stichprobe und dafür, dass keine Unterschiede gefunden wurden, sind, dass sich wahrscheinlich nur Betroffene mit schwerwiegendem ADHS für berufliche Massnahmen anmelden und die Diagnosestellung sich auf das Vorhandensein von Symptomen, nicht auf deren Schweregrad und die daraus folgenden Einschränkungen bezieht. Ausserdem konnte der Medizinische Leitfaden zur Diagnostik des POS bei den Betroffenen dieser Untersuchung noch gar nicht angewandt werden.
Lernen Grösser Denken – Ausarbeitung, Durchführung und Evaluation eines Lehrpersonenworkshops
Daniela Meyer-Köppel, lic. phil., SPD Kanton Aargau, Regionalstelle Aarau, Lenzburg
Es wurde gemeinsam mit Caroline Spirig, lic. phil., ein praxisnaher und interaktiver Lehrpersonenworkshop erarbeitet, um den Teilnehmenden Wissen aus der motivations- und neuropsychologischen Forschung zu vermitteln. Inhalte sind u.a. das Growth Mindset nach Carol Dweck (Haltung, dass Intelligenz und Talent durch Effort, Instruktionen, Engagement und Persistenz wachsen kann), die Förderung von Lernmotivation, Selbstwirksamkeit und Handlungsfähigkeit sowie Merkmale lernförderlichen Feedbacks.
Es wurde ein eintägiger Workshop mit sieben Lehr- und Fachpersonen durchgeführt. Die Teilnehmenden waren via Flyer oder Mail über ihre Schulleitungen informiert worden und hatten sich freiwillig gemeldet. Die Auswertung der Kursbeurteilungsbögen des Advanced Study Center der Universität Basel zeigte, dass die Teilnehmenden die Inhalte des Workshops als praxisrelevant und umsetzbar einschätzten. Zur Evaluation wurden darüber hinaus die beiden Fragebögen Lehrerselbstwirksamkeitsskala (Schwarzer & Schmitz, 1999) und Intelligenzkonzepterfassung (Items angelehnt an Dweck, 2000) eingesetzt.
Die Vorher-Nachher-Vergleiche der Fragebogenantworten deuten darauf hin, dass sich das Intelligenzkonzept der Teilnehmenden in Richtung eines Growth Mindsets verändert und sich die Lehrerselbstwirksamkeit der Teilnehmenden durch den Workshop erhöht hat. Dies sind insofern sehr erfreuliche Ergebnisse, da eine hohe Selbstwirksamkeit das Burnoutrisiko vermindern kann. Weitere Studien mit grösseren Stichproben und einem Längsschnittdesign sind nötig, um die Ergebnisse zu untermauern.
Die Operationalisierung der Sozialkompetenz in der Schule und in den IDS-2
Dominic Urwyler, M.Sc., SPD Aarau
In der zweiten Version der Intelligenz- und Entwicklungsskalen für Kinder und Jugendliche (Intelligence and Development Scales 2: IDS-2; Grob & Hagmann-von Arx, in Vorbereitung) wird mit dem Funktionsbereich «Sozial-emotionale Kompetenz» ein Entwicklungsbereich testpsychologisch erfasst, der in der allgemeinen Lebensbewältigung eine Schlüsselrolle einnimmt (Kanning, 2002). Der verhaltensbezogene Anteil der sozialen Kompetenzen wird als sozial kompetentes Handeln beschrieben (vgl. Hinsch & Pfingsten, 2002). Der IDS-2-Untertest «Sozial kompetent handeln» stellt eine Möglichkeit dar, die Kenntnisse von Kindern und Jugendlichen bezüglich sozial kompetenter Verhaltensweisen erfragen und in Bezug auf die jeweilige Altersgruppe standardisiert beurteilen zu können. Im Rahmen dieser Praxisforschungsarbeit wurde die standardisierte Erfassung sozial kompetenter Verhaltensweisen im IDS-2-Untertest «Sozial kompetent handeln» mit der Erfassung und Beuteilung sozial kompetenter Verhaltensweisen im Alltagskontext der Schule in Beziehung gesetzt. Es wurde eine zusammenfassende Darstelung der in Schweizer Lehrplänen genannten und in den IDS-2 integrierten Aspekte der Sozialkompetenz erarbeitet. Dabei zeigte sich, dass im Untertest «Sozial kompetent handeln» insbesondere die Kenntnisse von Kindern und Jugendlichen bezüglich der in Schweizer Lehrplänen genannten Aspekte Beziehungsfähigkeiten, Kooperationsfähigkeiten, Prosozialität sowie Konfliktlösefähigkeiten als Bestandteile der sozialen Basiskompetenzen nach Denham (2006) erfragt werden. Es wurden zudem Interpretationshinweise zum IDS-2-Untertest «Sozial kompetent handeln» sowie Überlegungsansätze zur Förderung sozial kompetenter Verhaltensweisen zusammengestellt, die in der Beratungsarbeit eingesetzt werden können. Diese werden im Rahmen des IDS-2-Manuals veröffentlicht.